Heute spinnen wir Fasern meist direkt aus der Hand. Auf historischen Abbildungen sehen wir aber neben Spindel und Spinnrad fast immer ein weiteres Objekt, das den Faservorrat hält. Kann so ein Rocken für uns moderne Spinner*innen eine nützliche Ergänzung sein? Welche Vorteile bietet er und wie werden Fasern daran befestigt?

Rocken sind bis ins frühe 20. Jahrhundert regelmäßig auf Abbildungen oder Fotografien zu sehen. Erst mit der „Wiederentdeckung“ des Spinnens als Hobby in den 1970er Jahren verschwanden sie weitestgehend aus dem Repertoire. Bis heute hat sich daran kaum etwas geändert: Rocken sind eher eine Randerscheinung als ein Standard. In diesem Punkt unterscheidet sich das Spinnen deutlich von der Tätigkeit unserer Vorfahrinnen. (Spinnen war in der Vergangenheit meist exklusive Frauenarbeit, daher können wir die männlichen Vorfahren hier unberücksichtigt lassen).

Über die Gründe für diesen Wandel lässt sich nur spekulieren. Spannender ist die Frage, warum ein solches Hilfsmittel früher zur Grundausstattung gehörte und welche Vorteile es bietet.

verschiedene Standrocken

Warum einen Rocken benutzen?

Wir unterscheiden je nach Größe Fingerkunkeln, Handrocken, Gürtelrocken und Standrocken, die jeweils zu anderen Zeiten in Mode waren. Die Standrocken sind dabei die jüngste Variante, die sich seit dem Spätmittelalter etabliert hat. Sie wurden mit Handspindeln und Spinnrädern benutzt.

Grundsätzlich haben all diese Geräte nur einen einzigen Zweck: Sie halten beim Spinnen den Faservorrat. Dadurch fungieren sie wie eine dritte Hand und ermöglichen das beidhändige Ausziehen. Werden die Fasern dagegen komplett in einer Hand gehalten, so ist diese kaum anderweitig nutzbar. Mit Fingerkunkel und Handrocken können zumindest Daumen und Zeigefinger beim Ausziehen helfen. Durch einen Standrocken ist sogar der ganze zweite Arm frei beweglich. Eine gänzlich andere Arbeitsposition kann eingenommen werden.

Diese geänderte Körperhaltung unterscheidet das Spinnen mit Standrocken von unserer modernen Technik aus der Hand: Wir müssen uns nicht über unsere Fasern beugen, sondern sitzen aufrecht und drehen nur den Kopf etwas zur Seite. Eine Haltung, für die jeder Rücken (und euer Physiotherapeut) dankbar sein wird!

Handspindeln oder Spinnrad?

Ob ihr mit der Handspindel oder dem Spinnrad arbeitet, spielt keine große Rolle. Grundsätzlich kann jede Spindel mit einem Rocken benutzt werden. Es gibt allerdings zwei kleine Einschränkungen: Unterstützte Spindeln eigenen sich nach meiner Erfahrung eher für die Nutzung mit einer Fingerkunkel oder einem Handrocken, da ihr dann nicht die Höhe des Rockens und der Spinnschale aufeinander abstimmen müsst.

Die zweite Einschränkung betrifft Spinnräder: Wenn die Fasern sich dem Ende neigen oder etwas fest gewickelt sind, kippt der Rocken manchmal. Aus historischen Bildern wissen wir, dass gegen dieses Problem ein Fuß auf dem Unterteil des Standrockens hilft. Das ist bei Doppeltritträdern jedoch nicht immer möglich. Daher eigenen sich Einzeltritträder hier etwas besser.

04_Fuß auf Rocken
Ein Fuß auf dem Unterteil des Rockens stabilisiert ihn

Geeignete Fasern

Grundsätzlich können alle Fasern nicht nur aus der Hand, sondern auch von einem Rocken versponnen werden. Allerdings gibt es Unterschiede in der benötigten Aufbereitung und Befestigung. Am flexibelsten lässt sich Wolle verarbeiten. Am anderen Ende der Skala befindet sich langfaseriges Flachs, das früher zwar immer von einem Rocken versponnen wurde, aber dabei nicht so einfach aufzubinden ist. Natürlich können auch gemischte Fasern von einem Rocken versponnen werden. Hier ist ein wenig Gespür für die richtige Technik nötig: Je länger die Fasern sind, desto eher sollte das Material wie Flachs aufgebunden werden.

Das Befüllen des Rockens

Grundsätzlich kann ein Rocken auf jede erdenkliche Weise befüllt werden, die das Abspinnen ermöglicht. Wichtig ist dabei, dass die Fasern nicht zu streng festgebunden werden und leicht aus dem Vorrat gezogen werden können. Zugleich sollten sie nicht lose herausfallen, da der Faden sonst ständig neu angesetzt werden muss. Ideal ist ein wenig Zug beim Aufbinden, der dem Material etwas Stabilität gibt, ohne die Fasern zu quetschen.

Die Menge ist von den Fasern und ihrer Aufbereitung abhängig. Generell sollten 100 bis 200 Gramm auf einen Rocken passen, bei fluffigen Faservorräten, wie Batts, etwas weniger. Ich habe vier Techniken getestet, die ich euch heute vorstellen möchte: eine aus dem Batt und drei aus Bändern (kardiert oder gekämmt).

Batts aufbinden

Wenn ihr ein oder mehrere Batts verspinnen wollt, könnt ihr sie direkt auf den Rocken aufwickeln. Das ist die einfachste Variante, um einen Rocken zu befüllen. Bei industriellen Kammzügen kann es sinnvoll sein, sie zunächst zu einem Batt zu kardieren.

Legt ein oder mehrere Batts quer und leicht überlappend vor euch. Der Rocken wird auf einer Seite darauf gelegt. Nun rollt ihr den Faservorrat mit ein wenig Zug auf den Stab. Das fluffige Gefühl des Materials sollte etwas eingedrückt werden, aber erhalten bleiben. Die entstandene Faserrolle wird dann mit einem Papierring oder einem Band befestigt (siehe unten). Beim Spinnen dreht ihr dann regelmäßig ein wenig, sonst zerteilt ihr nach und nach den Vorrat.

Bänder als Spiralen wickeln

Eine weitere einfache Technik ist das Wickeln einer Spirale aus einem Band oder Kammzug. Allerdings ist das Spinnen mit industriellen Kammzügen hier nicht so leicht, da die Fasern schnell zu straff um den Rocken liegen. Für Kardenbänder oder locker und dünn vorgezogene Kammzüge ist es dagegen eine praktische Variante.

Das Kardenband bzw. der Kammzug wird am oberen Ende zunächst etwas eingedreht, fest um den Rocken gewickelt und spiralförmig nach unten aufgewickelt. Der Faserstrang kann dabei leicht in sich verdreht werden. Bei dieser Technik sollte sehr locker gewickelt werden, da die Fasern sich sonst kaum mehr ausziehen lassen.

Die fertige Wicklung kann lose bleiben und mit der Hand gehalten werden. Wenn ihr eine Pause macht, empfiehlt es sich, eine kleine Schlaufe mit dem Ende des Kammzugs zu machen, um das Abwickeln zu verhindern. Praktischer ist es, die Fasern mit einem Band zu befestigen (siehe unten).

06_Spiralwicklung
Fasern als Spiralen auf dem Rocken

Kammzüge in Längsstreifen

Besser verspinnen lassen sich gekaufte Kammzüge, wenn sie zuvor in längere Streifen geteilt werden. Messt hierzu den oberen, herausnehmbaren Teil eures Rockens. Dieser Bereich gibt die Länge des Strangs vor. Wer mit einem einteiligen Rocken arbeitet, hat hier mehr Spielraum und sollte 40–80 cm Stücke vorbereiten.

Die einzelnen Streifen werden parallel zum Rocken gelegt. Wenn ihr sie vorher etwas in die Breite aufzupft, sind sie besser spinnbar. Anschließend werden die Stränge mit einem Band festgebunden.

Diese Technik ist vor allem für die ersten Versuche eine simple Variante. Da sich die Kammzüge so aber nur schwer gleichmäßig abspinnen lassen, gehört sie nicht zu meinen Favoriten.

Kammzüge in Flachstechnik aufbinden

Das Aufbinden von Flachsfasern ist die aufwendigste Variante, sie kann mit Kammzügen nachgeahmt werden. Ich persönlich finde bei dieser Variante das Spinnen sehr angenehm und leichtgängig.

Die Kammzüge werden zunächst auf eine Länge von ca. 40–80 cm zerteilt, je nachdem, wie lang euer Rockenstab ist. Nun werden die Stücke aufgelockert: Die Kammzüge sollten so breit wie möglich aufgefächert und auseinandergezogen werden, so dass ihr zwischen den Fasern fast hindurch seht.

Danach werden die aufgelockerten Stücke fächerartig in einem Viertelkreis ausgebreitet. Die schmale Spitze, an der alle Kammzugstränge überlappen, zeigt zu euch. Am anderen Ende liegen die Fasern nur zum Teil übereinander. Wer gleich eine größere Menge aufbinden will, kann zwei oder drei Fächerschichten übereinanderlegen. Das funktioniert genau wie bei der Vorbereitung von Flachs.

Wenn alle Fasern aufgefächert sind, wird der Rocken mit der oberen Spitze zu euch auf eine Seite der Fasern gelegt. Nun wird der Fächer langsam aufgewickelt. Dabei muss der Rocken sich an der Außenseite mehr bewegen als am oberen Ende. Hier könnt ihr vorsichtig im Bereich der Fasern greifen und wickeln.

Wenn alle Fasern um den Rocken gelegt sind, wird das obere Ende stramm mit einem Band befestigt. Danach kann der übrige Bereich mit weniger Zug festgebunden werden (siehe unten).

Befestigung der Fasern am Rocken

Für die Befestigung der Fasern habe ich drei Techniken getestet: das Festbinden mithilfe eines Papierstreifens, mit einem Band mit Stecknadeln und mit einem Band und einem (historischen) Stecker.

Für die Papierversion benötigt ihr ein Blatt Papier oder etwas dünnen Karton, das nicht höher als der aufzubindende Faservorrat ist. Nachdem der Spinnvorrat aufgewickelt wurde, wird das Paper darum gelegt und mit einer Schnur befestigt. Im Lauf der Zeit werden die Fasern weniger, und das Papier muss evtl. verschoben oder enger aufgerollt werden.

Das Befestigen mit einem Band finde ich etwas flexibler und besser regulierbar. Ich benutze einen ca. 3–5 cm breiten Streifen aus Wollstoff, es geht aber auch Baumwolle oder Leinen. Am schönsten sind bestickte oder gemusterte Bänder, z.B. vom Brettchenweben.

Als erstes binden wir die aufgewickelten Fasern am oberen Ende des Rockens fest. An dieser Stelle darf das Band sehr eng sein. Ihr könnt hier einen Knoten oder eine Stecknadel benutzen. Danach wickle ich mit weniger Zug das Band in einer lockeren Spirale zum unteren Ende. Ihr könnt bei kurzen Streifen hier aufhören, oder nochmals mit dem Band nach oben wickeln. Dadurch entstehen die typischen Überkreuzungen, die man auf alten Bildern oft sieht. Wenn das Band fast zu Ende ist, kann es mit einem historischen Stecker in den Fasern befestigt werden. Alternativ kann das Ende wieder mit einer Stecknadel festgesteckt werden.

Positionierung des Rockens

Bevor wir loslegen, muss der Rocken noch die optimale Position finden. Zunächst ist es wichtig, dass ihr ihn auf der Seite platziert, auf der sich eure „hintere“ Hand befindet, in der ihr bisher die Fasern gehalten habt. Ich stelle dazu das Rad nicht vor mich, sondern schiebe es etwas auf die andere Seite, so dass ich bequem einen Fuß auf das Pedal und einen auf den Rocken stellen kann, ohne mich zu verdrehen.

Die Unterkante der Fasern, aus der wir spinnen, braucht eine angenehme Arbeitshöhe. Es ist empfehlenswert, dass sie maximal auf Schulterhöhe endet und nicht tiefer reicht als der locker hängende Ellbogen. So erreicht die Hand bequem die Fasern und die Schulter bleibt entspannt.

Beim Spinnen wird die Hand am Rocken höher wandern, wenn die unteren Fasern verbraucht sind. Daher habe ich mir angewöhnt, bei jedem Zurückbinden zu testen, ob ich angenehm die Faserkante erreiche. Falls nicht, wickle ich nicht nur das Band zurück, sondern schiebe den gesamten Faservorrat etwas tiefer. Hierzu muss meist die enge Schlaufe oben kurz gelockert und wieder festgesteckt werden.

Wenn ihr das erste Mal mit einem Rocken spinnt, nehmt euch Zeit, um eine angenehme Haltung zu finden. Achtet nach einer Weile darauf, ob ihr euch verbiegt oder verkrampft und ändert ggf. die Position des Rockens und die Höhe der Fasern. Habt ihr eine gute Haltung gefunden, werdet ihr auch bei stundenlangem Spinnen keine Schmerzen haben.

Spinnen mit dem Standrocken

Nachdem die Fasern aufgebunden sind und ihr eine bequeme Position gefunden habt, geht es endlich ans Spinnen. Das funktioniert grundsätzlich im kurzen und im langen Auszug. Es erfordert am Anfang ein wenig Übung, da die bisherige Faserhand anders arbeiten muss, als ihr es gewohnt seid. Im langen Auszug geht die Umstellung relativ leicht, da der Drall die Fasern zusammenhält und ihr euch nur auf die passende Stärke und das Ausziehen konzentrieren müsst.

13_Handhaltung beim Spinnen - Version 2
Die Handhaltung beim Spinnen ist relativ weit auseinander und entspannt

Auf was man beim Spinnen von Rocken oder Kunkel sonst alles achten kann, erzähle ich euch – nachdem ihr ein wenig Üben konntet – in der nächsten Folge.

 

Ich hoffe, mit diesen Tipps könnt ihr gut am Rocken spinnen. Habt ihr weitere Arbeitsweisen? Oder wünscht ihr euch spezielle Tipps? Lasst mich gerne wissen, wie ihr mit einem Rocken arbeitet. Ich freue mich auf euer Feedback!

 

Dieser Artikel ist ursprünglich im Magazin „Mit Spinnrad und Spindel“ (herausgegeben von der Handspinngilde e.V.) in Ausgabe Nr. 34 erschienen. Wenn ihr euch für die Zeitschrift interessiert, könnt ihr sie auf der Homepage der Handspinngilde im Shop bestellen. 
Für Mitglieder der Gilde gibt es die Zeitschrift sogar gratis zur Mitgliedschaft dazu!

 

Den zweiten Beitrag zur Spinntechnik am Standrocken findet ihr hier: „Rock it, Baby!“

 

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Eine Meinung zu “Alte Technik, neu entdeckt: Spinnen mit Standrocken

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