Das Spinnrad oder die Handspindel ist eigentlich nur die Hälfte der Ausstattung, wenn es um das historische Spinnen geht. Früher war ein Standrocken ein ebenso wichtiger Bestandteil des Arbeitsablaufs. Nachdem wir uns im letzten Beitrag bereits das Aufbinden von Fasern auf den Rocken angesehen haben, geht es heute um die Spinntechnik.

Standrocken sind nicht die einzigen Hilfsgeräte. Es gab auch Fingerkunkeln, Handrocken, Gürtelrocken sowie fest am Spinnrad montierte Stäbe. All diese Dinge wurden in unterschiedlichsten Formen gefertigt und benutzt. Allerdings lässt sich eine Entwicklung nachverfolgen: Während Fingerkunkeln vor allem in der Antike beliebt waren, finden wir im Frühmittelalter zunächst Handrocken und ab dem Hochmittelalter längere Stäbe, die in mindestens einen Meter lang sind und in den Gürtel gesteckt wurden. Die ältesten Belege hierfür finden sich im frühen 12. Jahrhundert, z.B. im Lutrell Psalter von 1130.

Da der Gürtelrocken allerdings in der Armbeuge der Faserhand lag und so stabilisiert werden musste, war dieser Arm nur eingeschränkt benutzbar. Daher wundert es nicht, dass ab dem 13. Jahrhundert immer öfter Rocken auftauchen, die in eine Basisplatte gesteckt werden und damit frei stehen können. Die Gürtelvariante blieb allerdings auch weiterhin in Gebrauch, wenn im Gehen gesponnen wurde.

Standrocken in vielen Varianten

Doch auch Standrocken ist nicht gleich Standrocken. Es gibt viele unterschiedliche Ausführungen, die sich den Bedürfnissen der Menschen anpassen. Kürzere Varianten haben z. B. meist eine flache Basis, die auf eine Bank gestellt werden kann und im Sitzen benutzt wird. Hierbei könnte es sich um ein praktisches Kombigerät handeln, dass zugleich als Gürtelvariante (ohne die Basis) benutzt werden kann. Zuhause steckte die Spinnerin den Stab dann in die Basis und konnte den Arm besser bewegen. Allerdings verschwanden diese Modelle etwa im 16. Jahrhundert. Also ungefähr zu der Zeit, als Spinnräder ihre allgemeine Verbreitung und damit ihren Siegeszug gegenüber den Handspindeln antraten. Tatsächlich machen Gürtel- und Handrocken nur mit einer Handspindel so richtig Sinn. Für Spinnräder dagegen sind Standrocken immer die beste Wahl.

Eine weitere Möglichkeit zur Befestigung des Stabes ist ein Loch in der Bank, auf der die Spinnerin sitzt. Durch dieses Loch wird der etwa mannshohe Rocken gesteckt. Diese Modelle erscheinen in Abbildungen aber nicht so häufig wie der freistehende Standrocken, der bis ins 20. Jahrhundert den Standard war. Eine sehr eng mit dem Standrocken verwandte Form ist der am Spinnrad fest montierte Rocken. Er ist meist links neben dem Rad angebracht und etwa so hoch wie die sitzende Spinnerin.

Die obere Hälfte ist bei neueren Standrocken (und fest am Spinnrad montierten Varianten) meist abnehmbar und kann leichter befüllt werden. Denn beim Bewickeln muss nicht der ganze Stab durch den Raum manövriert werden. Die oberen Teile sind meist etwas länger als die aufzubindenden Fasern, also zwischen 60 und 100 Zentimetern.

Dabei hat sich mit der Zeit eine Vielfalt an Formen von Standrocken entwickelt, die teilweise regionale Bezüge haben. Am bekanntesten sind hierbei vermutlich die flachen, brettartigen Rocken, die typisch für das Spinnen in Nordost- und Osteuropa sowie in Russland sind. Heute sind allerdings Stabformen am leichtesten zu finden und können notfalls auch aus einem Besenstil selbst gebastelt werden. Früher waren darüber hinaus keilförmige, birnenförmige oder knüppelartige Rocken verbreitet.

Positionierung des Standrockens

Bei einem Standrocken habt ihr die freie Wahl, wo er stehen soll. Wenn ihr noch keine Erfahrung mit Rocken habt, platziert ihr ihn zunächst am besten auf der Seite, auf der sich sonst eure Faserhand befindet. Das ist die Hand, die ihr weiter weg vom Rad habt. Das Spinnrad kann dabei frontal vor euch stehen oder leicht zu einer Seite gedreht werden. Die seitliche Anordnung ist gerade für Linkshänder, die den Rocken oft rechts platzieren, angenehm. Denn hierdurch kommen Rocken und Spinnrad sich nicht in die Quere und ihr könnt euch bequemer hinsetzen. Gerade bei Einzeltritträdern funktioniert das sehr gut.

Egal auf welche Seite ihr den Rocken stellt, die Sitzposition sollte möglichst zwischen Rocken und Spinnrad sein. So kann ein Fuß das Spinnrad treten und der andere (falls nötig) den Fuß des Rockens stabilisieren. Diese Haltung ist besonders ergonomisch, da ihr euch zu keiner Seite verdrehen müsst, sondern aufrecht und gerade sitzt.

Wenn die Position des Rockens und des Spinnrads gefunden ist, müssen noch die Fasern passend angeordnet werden. Zum Aufbinden habt ihr ja bereits zahlreiche Tipps bekommen. Doch es gibt noch ein wenig mehr zu beachten: Die Unterkante der Fasern, aus der wir spinnen, braucht eine angenehme Arbeitshöhe. Es ist daher empfehlenswert, dass sie maximal auf Schulterhöhe endet und nicht tiefer reicht als der locker hängende Ellbogen. So erreicht die Hand bequem die Fasern und die Schulter bleibt entspannt.

Die Spinntechnik

Nachdem die Fasern aufgebunden sind und ihr eine bequeme Position gefunden habt, geht es ans Spinnen mit Spinnrad und Rocken. Es erfordert am Anfang ein wenig Übung, da die bisherige Faserhand anders arbeiten muss, als ihr es vielleicht vom Spinnen aus der Hand gewohnt seid. Für die ersten Versuche ist es am leichtesten, ein kardiertes Vlies zu benutzen, da hier die Fasern durcheinander liegen und somit gut zusammenhalten. Gekämmte Fasern sind dagegen in eine Richtung orientiert und etwas glatter. Dadurch könnt ihr leichter den Ansatzpunkt verlieren und daher machen sie das Spinnen gerade bei den ersten Versuchen ein wenig schwieriger.

Egal ob Vlies oder Kammzug, die Faserhand zieht an einer beliebigen Stelle am unteren Faserrand ein paar Fasern aus dem Vorrat. Allerdings nur so weit, dass sie noch fest mit dem Rest verbunden bleiben. Je gekräuselter die Wolle ist, desto leichter gelingt das. Nun beginnt ihr das Rad zu treten. Der Anfangsfaden ist in eurer Spinnradhand und sollte so lang sein, dass er bis zum Rocken und den herausgezogenen Fasern reicht. Das ist meist länger, als ihr den Anfangsfaden sonst habt, daher kann es gut sein, sich einen neuen, extra langen Faden an die Spule zu binden.

Legt die herausgezogenen Fasern in die Schlaufe des Anfangsfadens und lasst etwas Drall in den Anfang. Bei den ersten Spinnversuchen ist es leichter mit ein paar Tritten etwas Drall im Anfangsfaden zu sammeln und dann mit den Füßen eine Pause zu machen, bis ihr die Fasern durch die Schlaufe geführt und angesponnen habt. So habt ihr mehr Zeit und könnt euch voll auf eure Hände konzentrieren.

Nun zieht ihr mit der Faserhand ein wenig mehr Fasern heraus und öffnet die Hand ein wenig, um den Drall hineinzulassen. Jetzt kann auch die Spinnradhand beim Ausziehen helfen und mit leichtem Zug weitere Fasern ausziehen. Die Faserhand hat dabei die Aufgabe, den Drall und die Fadenstärke zu kontrollieren. Dies gelingt, indem sie bei Bedarf den Drall stoppt oder sogar den Fadenübergang zu den Fasern wieder aufdreht, falls hier zuviel Drall in den Vorrat gewandert ist und damit das Ausziehen nicht mehr gelingt.

Da historisch nicht klar zwischen kurzem und langem Auszug unterschieden wurde, braucht ihr euch hierbei auch keine größeren Gedanken zu machen. Grundsätzlich ist die Drallsperre ein Element des kurzen Auszugs, das Hindurchlassen des Dralls dagegen typisch für den langen Auszug. Generell fällt ein eher langer Auszug (also mit offener Drallsperre) bei Standrocken leichter. Wer dagegen ein besonders dichtes und glattes Garn möchte, sollte sich auf die Drallsperre konzentrieren.

Wenn der Faservorrat zu dick wird, könnt ihr jederzeit ein paar Fasern zurückschieben oder zur Seite zupfen. Noch eleganter ist es, die Länge des Auszugs an die Fasern und die gewünschte Stärke anzupassen. Hierfür bei zu dickem Garn den Auszug verlängern. Bei zu dünnem Garn oder wenn der Faden ständig abreißt, müsst ihr eure Auszugslänge verkürzen.

Die Handhaltung ist dabei immer relativ weit auseinander und entspannt. Die Spinnradhand kann sogar im Schoß oder auf einer Armlehne abgelegt werden. Die Faserhand arbeitet in dem beschriebenen optimalen Bereich, so dass die Schulter tief bleibt und sich nicht verkrampft. Es ist daher sinnvoll, am Anfang immer etwas Aufmerksamkeit auf die Schultern zu richten und die Position immer wieder in eine entspannte Haltung zu bringen. Dann kann sich keine Fehlhaltung einschleichen.

Am geschmeidigsten läuft das Spinnen, wenn ihr beide Hände gleichmäßig nutzt. Es kann sinnvoll sein, sich zunächst vorwiegend auf eine der beiden zu konzentrieren und sie mehr Arbeit leisten zu lassen. Meist wird das die Faserhand sein, die den Auszug dort kontrolliert, wo er am wichtigsten ist: Am Übergang von Fasern zu Faden. Das kann aber mit der Zeit etwas anstrengend für das Handgelenk werden, wenn es ständig abknicken muss. Daher sollte das nur eine erste Aufwärmphase sein, bevor die Spinnradhand hier als Hilfe mitarbeitet.

Nicht vergessen: Der Rocken sollte regelmäßig gedreht werden, um die Fasern gleichmäßig wegzuarbeiten. Dabei muss mit der Zeit das Band zurückgebunden und der Faservorrat nach unten gezogen werden. Wir kombinieren das Drehen des Rockens gerne mit dem Versetzen der Haken am Spinnrad: Wenn ihr einen Haken wechselt, könnt ihr auch den Rocken um ein kleines Stück weiterdrehen. So müsst ihr nicht extra daran denken.

Das Zurückbinden des Rockenbandes ist dagegen seltener nötig. Ein guter Hinweis für den richtigen Zeitpunkt ist der Moment, wenn die Fasern sich schwerer ausziehen lassen und das Spinnen nicht mehr so flüssig läuft. Meist kann durch das Zurückbinden dann wieder ein besseres Ausziehgefühl erreicht werden.

Wenn ihr schon zu Beginn Probleme mit einem zu störrischen Auszug habt, kann das ein Zeichen sein, dass ihr unter dem Band zu wenig Fasern frei gelassen habt oder das Band unten zu fest ist. Gerade am Anfang ist hier ein wenig ausprobieren nötig. Ihr solltet das Band lockern und etwas höher binden und prüfen, ob es damit besser funktioniert. Ein guter Richtwert für den passenden Abstand ist bei Wolle die Länge eurer Fasern, also zwischen 5 und 15 Zentimetern.

Damit habt ihr nun eine gute Grundlage für das Spinnen mit Standrocken. Wenn ihr mehr über das historische Spinnen erfahren möchtet, erscheint diesen Winter ein neues Buch, das ich gemeinsam mit Chantal-Manou Müller aus der Chantimanou Handspinnerey geschrieben habe und das sich ausschließlich diesem Thema widmet. Dort erfahrt ihr auch mehr zum Spinnen mit Kunkeln und Handrocken, über die historische Aufbereitung von Wolle und das Verarbeiten von Flachs zu Leinen. Natürlich geht es dann nicht nur um das Spinnrad, sondern auch ausgiebig um das Spinnen mit Handspindeln. Ich hoffe, mit diesem Beitrag habe ich euer Interesse an dem Thema geweckt!

Übrigens hatte das Spinnen früher eine so große Bedeutung im Leben der Menschen, dass es im englischsprachigen Raum einen eigenen Tag dafür gibt: Am 7. Januar begeht man dort den St. Distaff Day, also den Tag des heiligen Rockens (distaff = Rocken). Das ist natürlich kein echter Heiliger, sondern vielmehr ein scherzhafter Name für den ersten Arbeitstag nach der Weihnachtszeit, die traditionell bis zum Tag der Heiligen Drei Könige (6. Januar) reicht. Am St. Distaff Day wird daher die Rückkehr an die Arbeit „gefeiert“, bei der auch der Rocken nach der Winterpause erstmals wieder zum Einsatz kommt. Vielleicht feiert ihr diesen Tag ja bald auch zusammen mit mir…

 

Dieser Artikel ist ursprünglich im Magazin “Mit Spinnrad und Spindel” (herausgegeben von der Handspinngilde e.V.) in Ausgabe Nr. 35 erschienen. Wenn ihr euch für die Zeitschrift interessiert, könnt ihr sie auf der Homepage der Handspinngilde im Shop bestellen. 
Für Mitglieder der Gilde gibt es die Zeitschrift sogar gratis zur Mitgliedschaft!

 

Den ersten Beitrag zum Aufbinden von Fasern am Standrocken findet ihr hier: „Alte Technik, neu entdeckt“

 

Wenn ihr jetzt Lust bekommen habt, auch mal mit Rocken zu spinnen, findet ihr passende Rocken in meinem Online-Shop, viel Spaß beim Stöbern!

 

Eine Meinung zu “Rock it, Baby! Spinnen mit einem Standrocken

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